Rheinpfalz, 23.12.2014
„Ein Weihnachtsgeschenk“
„Musik ist ein reines Geschenk und eine Gabe Gottes.“ Diese Überzeugung ließ den Reformator Martin Luther Lieder komponieren – und St. Julians Pfarrerin Bettina Lukasczyk am Sonntag zur Gastgeberin eines Konzerts der Band Die üblichen Verdächtigen und des Chor Wings of Joy werden. Eine gute Entscheidung: Der Atmosphäre dieses Geschenks konnte sich niemand in der voll besetzten Kirche entziehen.
Eine volle Kirche. 250 Menschen. In den Holzbänken, auf Stühlen im Gang, auf den Stufen zur Empore und dort selbst natürlich auch. Die Erfindungsreichen haben zwei, drei Stühle aufeinander gestapelt, um von oben hinten auch noch einen Blick zu erhaschen auf den Altarraum, in dem die sieben Musiker der Band Die üblichen Verdächtigen und zwei Dutzend Mitglieder des Brücker Chors Wings of Joy eng beieinander stehen. 15 Kerzen brennen zwischen Kanzel und Taufbecken. Sogar das gute alte Dampfradio als Symbol für eine Zeit, in der Musik noch weitgehend handgemacht war, nicht wegzudenken aus der Bühnengestaltung der Band, hat Platz gefunden im Schatten des großen Tannenbaums mit Sternenschmuck.
Sehen freilich ist gar nicht so wichtig. „Es ist wunderbar, wie Sie stillschweigend mit geschlossenen Augen sitzen und unsere Musik genießen“, sagt Manuel Lothschütz mitten im Konzert. „Das muss ich jetzt einfach mal loswerden, in Zeiten, in denen Deutschland Stars sucht und Musik heißt, sich als Mann eine Perücke aufzusetzen und in Frauenkleidern zu singen.“
Solche Showelemente sind nicht die Sache der üblichen Verdächtigen. Deren Ehrgeiz liegt darin, schöne Lieder schön zu singen, ein- und vor allem mehrstimmig, und an diesem Abend dank des Chors auch vielstimmig. Weniger ist mehr, die Effekte sind sparsam, ein paar Streicher kommen aus dem Keyboard und ab und an klingt ein zuckersüßes Blingbling glöckchenhell durch den Raum.
Es sind vor allem die Stimmen von Lothschütz und Matthias Kinder und Rebecca Thömmes, jede auf ihre Art besonders, eindringlich und packend, die immer und ausnahmslos ihren Weg in die Herzen finden. Kleinere Gesangsparts übernehmen, ebenso charaktervoll, Manuel Distler und Stefan Altherr. Die Atmosphäre der Kirche von 1880, die Wucht und Freude des Chors, die genaue und feinfühlige Begleitung der Instrumentalisten (Schlagzeug Alexander Wemmert, Bass Manuel Distler, Gitarren Benno Dahl, Keyboard Stefan Altherr) tun das Ihre, um das Publikum andächtig lauschen und lauthals jubeln zu lassen, oft genug, bevor der letzte Ton gesungen und gespielt ist. „Scheuen Sie sich nicht, mitzuklatschen und mitzusingen, auch wenn wir in einer Kirche spielen“, ruft Stefan Altherr dem Publikum aufmunternd zu.
Doch es ist nicht so sehr die Ehrfurcht vor dem Ort, die das Publikum mucksmäuschenstill in der Magie des Moments verharren lässt. Es ist das Staunen vor dem Gebotenen. Pe Werner und die Eagles, Little River Band, Alicia Keys, Udo Lindenberg, Leonard Cohen, Sting, Sarah Connor, Elton John, Simon & Garfunkel: Band wie Chor haben ohne Scheu vor Genreschubladen musikalische Schätzchen ausgegraben oder aufgegriffen. Die Hälfte des Repertoires all dieser Lieblingslieder ist englischsprachig. Für „Through the barricades“ und „Kiss from a rose“ trägt Achim Pauli Übersetzungen vor. „Es gibt tatsächlich Lieder, die etwas zu sagen haben“, erläutert Lothschütz.
Das Konzert in der protestantischen Kirche von St. Julian ist nach einem Gastspiel in Breitenbach am Samstagabend das zweite Kirchenkonzert, das Band und Chor an diesem letzten Adventswochenende geben. Es wäre beinahe ausgefallen, denn mit der Eigenkomposition „Was wäre wenn“ hatten Die üblichen Verdächtigen sich Hoffnungen auf einen Finalplatz im Weihnachtssong-Contest des SWR-Radios gemacht. Dann hätten sie am Sonntag statt in St. Julian mit Paul Carrack in Kaiserslautern gespielt. Der Jury indes war „Was wäre wenn“ nicht weihnachtlich genug. Gleichwohl hat es einen festen Platz im Repertoire der Verdächtigen und verdient das große Kompliment, sich wunderbar in den Reigen all der Hits und Kostbarkeiten einzufügen, die die Band präsentiert. So wie die Eigenkomposition ist auch Paul Carrack in St. Julian nicht fern.
„In the living years“, jener Mike & The Mechanics Hit, dem der Brite die Stimme lieh, avanciert zum zu Tränen rührenden großen Finale des Konzerts. Wieder brandet der Jubel auf, bevor das Lied verklungen ist, die Zuschauer stehen wie ein Mann, applaudieren, fordern Zugaben schon bevor die Künstler sich auch nur einmal verneigen können. Es geht natürlich noch weiter, Wunderkerzen brennen in allen Händen, der Moment wird festgehalten in kleinen Videos und in den Herzen auch. „Das war ein richtig schönes Weihnachtsgeschenk“, sagt eine Besucherin. „Das nehme ich jetzt mit bis zum Fest.“